Biografie
Bereits als Dreizehnjähriger wurde Géza Anda in die berühmte Budapester Liszt-Akademie aufgenommen, wo er von legendären Professoren jener Zeit ausgebildet wurde, bevor er dank eines Stipendiums zur Weiterbildung nach Berlin gelangte. Noch während des Krieges gelang es ihm, in die Schweiz zu übersiedeln, wo er fortan leben sollte. Seine Karriere hingegen führte ihn durch ganz Europa sowie wiederholte Male nach Amerika, Asien und Südafrika. Er konzertierte mit allen grossen Dirigenten seiner Zeit, von Fricsay über Karajan und Abbado bis Boulez.
Géza Anda wurde am 19. November 1921 in Budapest geboren. Im Alter von 13 Jahren wurde er als Schüler des Budapester Konservatoriums aufgenommen und studierte bei Ernst von Dohnányi, Zoltan Kodály und Leó Weiner. 1940 gewann er den begehrten Franz Liszt-Preis und debütierte ein Jahr später mit Brahms’ 2. Klavierkonzert unter Willem Mengelberg.
Durch ein Stipendium in Berlin konnte er Wilhelm Furtwängler auf sich aufmerksam machen, unter dessen Leitung er zusammen mit den Berliner Philharmonikern César Francks Symphonische Variationen aufführte. Von Furtwängler stammt die berühmt gewordene Charakterisierung des jungen Anda als „Troubadour des Klaviers“. Gleichzeitig begann der Zwanzigjährige in Berlin Klavier zu unterrichten und erste Schallplatten aufzunehmen.
1943 gelang es Anda, in die Schweiz auszureisen. Er lebte zunächst in Genf und liess sich nach dem Krieg dauerhaft in Zürich nieder. Seine internationale Karriere als Solist führte ihn nicht nur durch Europas Konzertsäle. Seit 1955 absolvierte er insgesamt 17 Tourneen in den USA. Ausserdem konzertierte in Kanada, Asien und Südafrika.
Andas früher pianistischer Bravour bei der Gestaltung der virtuosen Werke Liszts, Francks, Tschaikowskys und Rachmaninows, seiner schulbildenden Bartók-Interpretation und seinem ebenso brillanten wie durch seine Klangsprache fesselnden Chopin-Spiel stand seine Ausdruckskraft für die Musik der deutschen Klassik und Romantik gleichrangig gegenüber. Sein musikalisches, technisch wie geistig durchdringendes Gestaltungsvermögen war konzentriert auf die Erfassung von Form und Substanz als Einheit eines Werkes, so insbesondere bei Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms. Daraus gewann Andas Spiel jene „clarté“, die ihm als „festliches Temperament“ zugeschrieben wurde.
Es prägte bereits ab 1950 seine durch Clara Haskil kollegial ermutigte Interpretation der Klavierkonzerte Mozarts.
Von 1952 bis unmittelbar vor seinem Tod wirkte Géza Anda als Solist alljährlich bei den Salzburger Festspielen mit; keinem anderen Künstler wurde in Mozarts Geburtsstadt eine solche ununterbrochene Kette von Engagements auf dem Konzertpodium zuteil.
Dort begann er auch, vom Flügel aus dirigierend Mozarts Klavierkonzerte mit der Salzburger Camerata Academica als Partner aufzuführen. Als Ergebnis dieser exemplarischen Zusammenarbeit, die auf vielen Tourneen erprobt und gefestigt wurde, entstand zwischen 1961 und 1970 die erste Gesamteinspielung der 25 Mozart’schen Solokonzerte in Personalunion von Solist und Dirigent überhaupt, wofür Géza Anda mehrmals mit dem „Grand Prix du Disque“ ausgezeichnet wurde. Für 16 dieser Konzerte schrieb Anda eigene Kadenzen, die 1973 im Verlag Bote & Bock (Berlin u. Wiesbaden) veröffentlicht wurden.
Zudem lag Anda sein pädagogisches Wirken am Herzen. Von 1953-55 leitete er eine Meisterklasse an der Internationalen Sommerakademie des Mozarteums in Salzburg, 1960 folgte er für ein knappes Jahrzehnt Edwin Fischer als Leiter der Luzerner Meisterkurse nach. Ab 1969 lehrte er dann in Zürich im Rahmen der Internationalen Meisterkurse.
Géza Anda verstarb am 13. Juni 1976 im Alter von nur 54 Jahren. In Erinnerung an ihn gründete Hortense Anda-Bührle, mit der er in zweiter Ehe seit 1964 verheiratet war, die Géza Anda-Stiftung. Sie führte 1979 erstmals den Concours Géza Anda in Zürich durch, der die Förderung des pianistischen Nachwuchses im musikalischen Geiste Géza Andas zum Ziel hat.
Géza Andas weitgespanntem Repertoire entsprach die Kongruenz und Treue seines weltweiten Publikums. Vielleicht hat es durch Géza Anda am tiefsten die vox humana als Spielart aller grossen Musik wahrnehmen und verstehen können.
Sein künstlerisches Wesen
Géza Andas Haltung als Musiker war von der typischen, sehr breiten Ausbildung an der Liszt-Akademie geprägt und von einer rationalen, klaren und äusserst detaillierten Analyse des Notentexts. Als ausübender Künstler wie als Lehrer legte er hingegen Wert darauf, dass man sich nach der genausten Auseinandersetzung mit der Partitur von ihr lösen müsse, um eine ganz eigene, persönliche Interpretation der betreffenden Musik zu erschaffen: «Um ein Interpret zu sein, kann man ein Werk nicht lernen, man muss völlig eins werden mit ihm.»
Die nachfolgenden Textpassagen stammen aus dem Buch von Wolfgang Rathert: Géza Anda. Pianist. Ausgabe in dt. und engl. Sprache. Wolke Verlag. Hofheim 2021, hier: S. 40f., S. 37, S. 68.
„Ganz einfach die Töne mit schön liegenden Fingern nacheinander aufreihen. Dies ist eine Leistung des Intellekts, der Nervenbahnen und der Gehörnerven. Sich selbst richtig zuhören, das ist der Schlüssel zum ‚schönen‘ Spiel. Und das tun die wenigsten. Es gibt eine Art von Verkrampfung der Halsmuskulatur während des Spielens, die ein genaues Hören verhindert. Das Spiel wird dann zur Fiktion für den Pianisten. Er spielt etwas ganz anderes, als er zu hören glaubt. Während des Spielens muß man Distanz zu sich selbst gewinnen, es zumindest versuchen. Ich diktiere meinem Ich, was ich will – es ist kein Dogma. Wenn es gelingt, dann ist es gut.“ (Géza Anda)
Dass Anda die physiologischen Aspekte nicht verabsolutierte, ist angesichts seiner deutlichen Kritik an der auch von ihm erlebten Fixierung des Unterrichts auf die „motorische Muskelarbeit“ nicht verwunderlich. Nun geht es um eine wesentlich komplexere, mentale und intellektuelle Dimension des Musizierens, nämlich das Zusammenspiel von Spielen und Hören auf einer höheren Ebene des Sich-Selbst-Zuhörens. Egil Harder, sein langjähriger Assistent, berichtete, dass Anda in seinen Meisterkursen immer wieder forderte, dass der Schüler mit sich selbst Kammermusik spielen solle. Diese „Verdoppelung“ des Musikers in eine ausführende und eine hörende Instanz war für ihn vielleicht das wichtigste Ziel des Musizierens überhaupt – ein Ziel, das immer nur annäherungsweise und in seltenen Momenten erreicht werden könne, aber als Anspruch und Ideal niemals aufgegeben werden dürfe. […]
Géza Andas Gedanke, die Doppelfunktion des Musikmachens als Spielen und Hören zum Ausgangspunkt zu machen, geht über diese allgemeine Frage nach dem Stellenwert von Interpretation und Ausführung freilich hinaus: Er will das Verhältnis von Text und Umsetzung grundsätzlich klären. Das analytische und rationale Studium des Textes ist die Voraussetzung der von Imaginationskraft und Fantasie bestimmten Umsetzung des Textes, als dessen letzter Schritt das Hören oder vielmehr das hörende Spielen hinzukommt.
„Ich kann ruhig mit den Oktaven rattern, das nützt nichts, das wird nie Musik.“ (Géza Anda)
Als reflektierter Musiker war Géza Anda auch auskunfts- und diskussionsfreudig, verbunden mit der Freude an pointierter Zuspitzung, wie die hier als Überschrift verwendete Bemerkung aus einem von ihm selbst gesprochenen Selbstporträt belegt, das 1967 vom Norddeutschen Rundfunk ausgestrahlt wurde. In seinem Nachlass finden sich eine Reihe handschriftlicher Aufzeichnungen, die den Umriss einer Interpretationslehre und eines ästhetisch-philosophischen Bekenntnisses bilden:
„Es ist nun klar, daß die Verpflichtung durch unseren Beruf unermeßlich ist. Dem zu begegnen, braucht es den ganzen Menschen. Es braucht Liebe, Intuition und einen analytischen Verstand. Liebe als Bedürfnis, denn – wie Augustinus sagt – „wir erkennen nur soviel, wie wir lieben“. Liebe ist also der erste Schritt zur Erkenntnis. Intuition, weil wir einen Blick haben müssen für nicht notierte Geheimnisse, und analytischen Verstand, damit wir die kleinsten Teile begreifen und sie zum Ganzen in die richtige Beziehung ordnen. Diese Fähigkeiten erlauben uns nun, das Notenbild zu enträtseln. Alles ist darin enthalten. Die Musik hinter den Noten zu suchen – wie es ein Gemeinplatz tut – ist Unsinn. Die Musik ist in den Noten. Wenn zu einem Ton ein zweiter sich gesellt, so beginnt die Musik und damit unsere Arbeit. Alle diese Fähigkeiten sind nicht voneinander zu trennen. Ebenso untrennbar sind unsere Hauptprobleme, nämlich: musikalische Probleme sind technische Probleme, um die musikalische Struktur und den inneren Gehalt eines Werkes auf das Klavier hinüberzuzaubern – und technische Probleme sind musikalische Probleme, denn die einzige Daseinsberechtigung des Instrumentes ist das Musizieren. Wenn jemand hier den Begriff „Gefühl“ zu vermissen hat, so fehlt er absichtlich. Die individuellen Ichzustände sind von größter persönlicher Wichtigkeit, nicht aber in bezug auf das zu interpretierende Werk. Das Werk hat seinen eigenen Gefühls- und Stimmungsgehalt in den Noten niedergelegt, die herauszuschälen unsere Aufgabe ist, und nicht, dem Werk unseren Stimmungsstempel aufzudrücken. Um Interpret zu sein, kann man ein Werk nicht „lernen“, man muß völlig eins mit ihm werden. Man sollte wie ein Skorpion sein Opfer das Werk umarmen und in sich aufsaugen, so daß es keinen Unterschied im Lebensrhythmus, im Atmen und in der Empfindung mehr gibt. Die Identifikation soll so vollkommen sein, daß man das Werk nicht mehr „spielt“ oder „wiedergibt“, sondern jeden Abend aus dem Innern neu gebiert.“ (Géza Anda)
Vollständige Diskografie und Bibliografie
Géza Anda ist vor allem als engagierter Verfechter von Mozarts und Bartóks Klavierkonzerten bekannt. Das Zweite Klavierkonzert führte er über 300mal öffentlich auf, und seine Einspielung aller drei Konzerte ist bis heute eine Referenzaufnahme. Er war der erste Pianist, der in Personalunion von Solist und Dirigent sämtliche Konzerte Mozarts auf Platte einspielte Tatsächlich bilden diese beiden Zyklen nur einen kleinen Teil von Andas immenser Diskografie und seines sehr breiten Repertoires.
Wie umfangreich das Repertoire war, das Géza Anda beherrschte und aus dem er schöpfte, lässt sich an seiner Diskographie erkennen, die derzeit 100 Werke in ca. 200 Aufnahmen umfasst. Zu Lebzeiten Andas erschienen auf ca. 40 Schellack- und Vinyl-Platten Werke seines favorisierten Kanons von Werken Bartóks, Beethovens, Brahms‘, Chopins, Liszts, Rachmaninoffs, Schumanns, Tschaikowskys sowie – als Krönung – die Gesamtaufnahme der Klavierkonzerte Mozarts. Zwischen 1942 und 1975 aufgezeichnet, verteilt sich der weit überwiegende Teil der Aufnahmen auf die beiden Weltfirmen Columbia/EMI und Deutsche Grammophon Gesellschaft (und deren Vorgängerlabel „Polydor“), deren Exklusivkünstler Anda war, und wird ergänzt durch seine Aufnahmen bei Telefunken und Ariola-Eurodisc zu Beginn der 1950er Jahre bzw. am Ende seines Lebens. Hinzu kommen zahlreiche Rundfunkproduktionen und Konzertmitschnitte Andas, die von Rundfunkanstalten in Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und der USA aufgezeichnet wurden. Dank des Engagements von Labels wie Audite, Hänssler, Orfeo nehmen diese Veröffentlichungen inzwischen einen breiten Teil der Diskographie ein.
Ergänzt durch parallele Veröffentlichungen vieler inzwischen klassisch gewordener Aufnahmen Géza Andas auf den Streaming-Plattformen, ist seine Pianistik heute umfassender denn je dokumentiert und weltweit greifbar. Dadurch lebt sein künstlerisches und pädagogisches Vermächtnis stärker denn je fort.
Die Diskographie wird ergänzt durch eine Auswahl-Bibliografie von Texten, Interviews, Filmen und Rundfunksendungen mit und über Géza Anda. Umfang und Breite der Bibliografie spiegeln Andas kommunikative Begabung, die ihn zu einem begehrten Gesprächspartner machten, und die anhaltende Faszination seiner historischen und künstlerischen Statur wider.
Diskographie und Biographie werden kontinuierlich ergänzt und aktualisiert.
Géza Anda im video
Géza Anda war als Pianist und Pädagoge regelmässig in den Medien seiner Zeit präsent. Finden Sie hier eine (im Aufbau befindliche) Auswahl von Videos von und über Géza Anda.
Bericht über den Klavier-Meisterkurs von Géza Anda im Rahmen der internationalen Musikfestwochen (IMF) Luzern, 1968.
Bericht und Interview mit Jurymitglied Géza Anda beim Concours Clara Haskil anlässlich der internationalen Musikfestwochen Luzern, 1965.